„Der intuitive Geist ist ein Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“
- Albert Einstein
Interview dieses Monats: Gerth Vogel
Bauchentscheide
Gerth Vogel ist ein deutsch-schweizer Unternehmer, Autor und Referent. In führenden Kaderpositionen in der Industrie und im Dienstleistungsbereich hat er das Strategiehandwerk, die Führung von Menschen und das Nutzen intuitiver Fähigkeiten für Unternehmensentscheide von der Pike auf gelernt.
Er ist Partner von Profiles International (DACH) seit 2001 und mehr als 25 Jahren ‘Berater aus Leidenschaft’ und versteht seine Arbeit als Zukunftsinvestition, die sich für Kunden rechnen muss.
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Im Interview geht es um den Zusammenhang zwischen Mitarbeiterengagement, Intuition und Unternehmenserfolg.
''Mitarbeiterengagement ist nicht die Ursache von irgend etwas. Die Erfahrung, die Mitarbeiter machen, ist die Ursache. Das Engagement ist die Wirkung.'' - Jacob Morgan
Wir wünschen euch viel Freude - und viele Meinungen - durch die Lektüre!
Alpha-Gehirn-Frequenzen für Problemlösungen und Entscheide
Wie sind Sie eigentlich auf das Thema ‘Intuition’ gekommen?
Während meines Studiums glaubte man in der betriebswirtschaftlichen Forschung, dass man eigentlich alles rational entscheiden kann. Doch in der Praxis stellte ich fest: Das kann nicht stimmen. Wir machten gerade die Jahresplanung für die kommenden Geschäftsjahre. In der Nacht träumte ich von meinen EDV-Listen. Blatt nach Blatt erschien und plötzlich ging es nicht mehr weiter. Am Morgen erinnerte ich mich an den Traum und schaute in meinen Listen nach. Exakt an der Stelle, an der im Traum nichts mehr weiter ging, war zu meiner Verblüffung ein Planungsfehler von mehr als 25 Millionen Dollar. Der hätte mich damals vermutlich meinen Job gekostet.
Ab diesem Erlebnis begann ich mich zu fragen, wie das funktioniert. Das Thema hat mich bis heute nicht mehr los gelassen. Ich habe systematisch gelesen und recherchiert, wie Menschen mit Ungewissheiten statt nur mit bekannten Risiken umgehen. Dann habe ich in den USA José Silva und Silva Mind Control kennen gelernt. Ich war begeistert davon und habe dann Selbstversuche und Versuche mit meinen Kollegen unternommen. Wir haben dabei gelernt, wie wir die langsamen Alpha-Gehirn-Frequenzen für Problemlösungen und Entscheide nutzen konnten.
Da José seine Methode nur für Einzelpersonen entwickelt hatte, mussten wir für die Anwendung in Unternehmen Verfahren entwickeln, die kollektive Intelligenzschritte in Gruppen möglich machten, lernen, mit beiden Gehirnhälften zu arbeiten und üben, üben, üben… Heute arbeiten wir ergänzend zu den üblichen Beratungs-Methoden mit unseren Kunden in Alpha um die Fähigkeiten beider Gehirnhälften zu nutzen, die natürlichen intuitiven Fähigkeiten bewusst für bessere Strategien kreativ nutzbar zu machen, Ziele effektiver und effizienter zu erreichen und um Qualität und Prozessgeschwindigkeit zu erhöhen.
Gerade wenn grosse Unsicherheiten vorhanden sind und wir mit unserer Logik nicht wissen, was morgen sein wird, zeigt sich der grosse Wert dieses Vorgehens. Wie gerade jetzt. Jim Sirbasku hat es uns immer wieder gesagt: ‘Think with your imagination, not with your memory’.
Bauchentscheid ist gefühltes Wissen.
Was verstehen Sie unter Intuition?
Noch bis in die späten 80er Jahre des letzten Jahrhunderts war das Bild, das sich die Forscher vom Ich machten, ausschliesslich auf die Ratio reduziert. Die meisten Wissenschaftler hielten unser Gehirn für so etwas wie einen Computer, redeten von Festplatte, von Hard- und Software. Dem ist nicht so. Die Schwäche der Ratio, auf die wir ja so stolz sind, liegt in ihrer begrenzten Kapazität. Der bewusste Verstand kann nur eine äusserst geringe Informationsmenge verarbeiten – sobald diese kritische Grenze überschritten wird, ist er überfordert.
Tor Nørretranders, der dänische Wissenschaftsautor, hat zum ersten Mal die Kapazität unseres Gehirns in Bits dargestellt. Die Zahlen, die dabei herauskamen, sind – obwohl sehr vorsichtig geschätzt - astronomisch. So schicken unsere Augen pro Sekunde ungefähr zehn Millionen Bits an das Gehirn, die Haut etwa eine Million, der Geruchssinn 100.000 und der Geschmackssinn nochmals 1.000 – mehr als elf Millionen Bits, die Sekunde für Sekunde in unserem Gehirn eintreffen.
Und nur ein Bruchteil dieser Informationen schafft es bis in unser Bewusstsein – in den Bereich unseres „Wissens.“ Mit anderen Worten: wir erleben bewusst nur einen winzigen Ausschnitt der Informationen, die unser Gehirn verarbeitet. Aber auch die anderen Informationen sind gespeichert. Wenn wir Glück haben, kommen sie irgendwie und irgendwann an die Oberfläche, manchmal sogar genau dann, wenn sie wir gerade brauchen können.
Der Arbeitsspeicher unseres bewussten Verstands erweist sich als überraschend klein: beim Lesen verarbeiten wir nicht mehr als 45 Bits pro Sekunde, beim Rechnen sinkt die Zahl auf 12 Bits. Maximal bewältigt unser bewusster Verstand nur 50 Bits pro Sekunde. Das ist seine Achillesferse – insbesondere wenn es – wie in unserer derzeitigen Lage – wichtig ist, grosse Mengen an unterschiedlichen Informationen aufgrund der Komplexität, der Neuartigkeit der Probleme und der sich permanent ändernden Erkenntnisse zu verarbeiten.
Selbstverständlich hat unser bewusster Verstand auch Vorzüge. Der wichtigste ist seine Präzision. Er ähnelt einem Spot, der einen Punkt im Raum klar ausleuchten kann. Jedes Detail wird erkennbar. Aber der Rest bleibt im Dunkeln. Unser bewusstes Denken ist also extrem fokussiert, verliert aber dadurch schnell das Ganze aus dem Auge. Dabei macht unser bewusster Verstand noch einen Fehler: er geht wie selbstverständlich davon aus, dass das, was er ausleuchtet, alles ist, was es gibt.
Deswegen reagiert er bei aussergewöhnlichen Situationen zuweilen panisch: er sieht unüberwindliche Hindernisse auf dem Weg zum Erreichen wichtiger Ziele oder bei der Bewältigung von Problemen und weiss, dass er diese nicht mit seinen bewährten Methoden lösen kann.
Jeder Künstler hat Wissen in seinen Fingern. Ein Fussballer hat es in seinen Füssen. Stellen Sie sich vor, ein Stürmer schiesst aus einem nahezu unmöglichen Winkel ein Tor. Der Schiedsrichter erkennt den Treffer aber nur an, wenn ihm der Spieler genau erklären kann, wie er das gemacht hat. Wenn er es nicht kann, ist das Tor ungültig. So verhalten sich sehr viele Unternehmen. Wobei nach meiner Erfahrung Familienunternehmen weniger Probleme mit Bauchentscheiden haben als börsenkotierte Firmen unter dem Druck der Investoren und der Analysten.
Howard Gardner, Harvard-Professor für Cognition and Education, sagt: ‘When you are entering an area where the unknowns are high and experience is important, if you don‘t rely on intuition, you are cutting yourself short.
Zwei Methoden:
Hängt das vielleicht mit Strukturen zusammen? In Familienunternehmen müssen ja die Besitzer ihre Entscheide nicht gegenüber höheren Hierarchiestufen rechtfertigen.
Da haben Sie recht. Wenn Sie alles begründen können oder wenn Sie eine Beratungsfirma engagieren, die das für Sie tut, sind Sie üblicherweise aus dem Schneider. Auch wenn das Unternehmen darunter leidet. Ich habe einmal untersucht, wie börsenkotierte Unternehmen Bauchentscheide vernebeln bzw. unter den Tisch wischen.
Es gibt im Wesentlichen zwei Methoden.
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Vorgehen 1: Man entscheidet aus dem Bauch heraus, möchte es aber nicht sagen, denn bei einem Scheitern stünde man dumm da. Also beauftragt man einen Mitarbeiter, der nun zwei Wochen lang nach rationalen Gründen für den Entscheid sucht und diese präsentiert.
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Vorgehen 2 (das ist die teurere Version): Man stellt eine Beratungsfirma ein. Sie weiss natürlich, was der Auftraggeber von ihr erwartet, schliesslich möchte sie ja einen oder am liebsten mehrere Folgeaufträge.
Beide Vorgehensweisen sind eine reine Verschwendung von Zeit, Intelligenz und Geld.
Bei der Volksfürsorge haben wir die gesamte Aufbau- und Ablauforganisation mit intuitiven Methoden auf den Prüfstand gestellt. Die Abläufe wurden in ganzheitliche, fallabschliessende Arbeitszusammenhänge integriert, die Hierarchiestufen drastisch verringert. Innerhalb von 18 Monaten stieg die Produktivität um 31 Prozent.
Intuitionen sind wie Automatismen, die man trainieren muss.
So oder so wird Intuition kritisch beäugt. Sind Bauchentscheide nicht nur wenig überlegte Schnellschüsse?
Intuitionen sind wie Automatismen, die man trainieren muss. Anfänger müssen immer wieder üben, üben, üben und so Erfahrung sammeln. In der Regel ist es ja so: Wir lernen viele Dinge, z.B. das Klavierspielen. Richtig gute Musik passiert aber erst dann, wenn wir uns nicht mehr bewusst sind, was unsere Finger eigentlich bewegt.
Es braucht aber auch Transparenz über die Art und Weise wie ein Bauchentscheid zustande kommt. Transparenz kann man auf der Leistungsebene, der Performance, schaffen. Was ein Bauchentscheid tatsächlich nicht kann, ist Transparenz auf der Ebene des Prozesses zu schaffen. Doch was ist Ihnen als Unternehmer wichtiger, die sicht- und messbare Leistung oder der Prozess, der dahinter steckt? Am Ende ist es in der Regel doch die Leistung, die im Unternehmen zählt.
Wenn ich wieder den Fussballer als Beispiel nehmen darf: Ein Club stellt einen Mittelstürmer ja nicht ein, damit er erklärt, wie er das macht was er macht, sondern damit er möglichst viele Tore schiesst. Das Ergebnis rechtfertigt zu guter Letzt den Bauchentscheid. Top oder Flop. Ein Bauchentscheid ist ja ein Entscheid, für den man, egal ob Sportler, Musiker oder Unternehmer, selbst die volle Verantwortung übernehmen muss. Bauchentscheide kann man nicht auf Dritte abschieben.
Bei Nycomed haben wir erlebt, wie wichtig das ist. Die Konzernmutter hatte die Beschaffung zentralisiert. Ihr Hauptprodukt gegen cerebrale Durchblutungsstörungen hatte als Rohstoff Kälberblut, das in der Ukraine und in Weissrussland beschafft wurde.
Bei einer Analyse der Hauptgefährdungsfaktoren des Unternehmens mit intuitiven Methoden sind wir darauf gekommen, dass dies in einer Gefährdungssituation nicht ausreicht. Gegen den Willen der Konzernmutter wurden Beschaffungsmöglichkeiten in Südamerika gefunden. Nach der Katastrophe von Tschernobyl war klar, dass das Unternehmen ohne diese zusätzlichen Möglichkeiten nicht überlebensfähig gewesen wäre.
Man muss den Mut haben, dort Bauchentscheide zuzulassen.
Steht am Anfang einer grundlegenden Innovation oder Neuerung also immer ein Bauchentscheid?
Damit schafft man in einem Unternehmen ein defensives Klima, in dem man sich nicht traut, Fehler zu machen, dafür aber auch nichts lernt.
Im heutigen Berufsalltag müssen wir praktisch alles dokumentieren. Denn wenn es zu einem Problem kommt, haben wir unsere Handlungen anhand von Belegen zu begründen. Ich halte das zwar für eine verständliche, aber bedenkliche Entwicklung. Der Begründungszwang ist gefährlich, weil man übersieht, dass sich Bauchentscheide ja gerade nicht begründen lassen. Manchmal wünsche ich mir, dass die Menschen ein bisschen mehr Mut zu Entscheidungen zeigen und sich nicht ständig absichern.
Und noch eines: die Neuheit einer Idee lässt sich im Zeitablauf nicht mehr erhöhen, wohl aber deren Realisierbarkeit. Bei Vorwerk hatten wir in 2008 in einem Workshop alle Ideen für eine neue Küchenmaschine. Erst mit dem Thermomix TM6 in 2019 war dann alles realisiert. Und sie haben in dieser Zeit ihren Umsatz mit den neuen Modellen seit 2011 verfünffacht auf € 1.1 Mrd.
Man braucht auch eine positive Fehlerkultur.
Grundsätzlich ist der Mensch ja offen und spontan. Wo oder wann hat er den Mut zum Bauchentscheid verloren?
Denken Sie z.B. an einen Topmanager, der nicht das Beste für seine Firma empfiehlt, sondern etwas Zweitklassiges, mit dem er im Falle eines Scheiterns zwar sich persönlich schützt, seinem Unternehmen aber möglicherweise schadet.
Hier haben Familienunternehmen deutliche Vorteile. Vermutlich treffen wir auch wenig oder kaum Bauchentscheide, wenn wir jedes Mal überlegen müssen, ob wir damit irgendwelche Gesetze verletzen und welche Folgen dies haben könnte. Das sollte eigentlich nicht so sein. Im Gegenteil, will man Innovation und Erfolg haben, muss man die Arbeitsweisen zulassen, die das schaffen und nicht dagegen arbeiten. Dazu braucht es auch eine positive Fehlerkultur. Bei einer negativen Fehlerkultur schaue ich nicht auf das Ergebnis, sondern suche Fehler die ich dann verheimliche, nicht eingestehe, vertusche. So kann man aus Fehlern nicht lernen und man macht sie immer wieder. In einer positiven Fehlerkultur legt man die Fehler offen: jetzt ist mir diese dumme Sache passiert. So können die anderen davon lernen und es lassen sich Verbesserungen erreichen.
Damit die beiden ersten Werkzeuge wirksam sein können, braucht es zuverlässig Methoden.
Gibt es für Unternehmer eine Art Werkzeugkasten, der Instrumente enthält, die zu erfolgreichen Bauchentscheiden führen?
Die wichtigsten Werkzeuge, um die komplette Power der Intuition in Unternehmen verfügbar zu machen sind meiner Meinung nach Methoden zum Denken mit der rechten Hirnhälfte, Methoden, die es ermöglichen, Leidenschaft und Engagement der Menschen zu fördern sowie Methoden, die sicherstellen, dass Menschen die zu ihnen passenden Aufgaben machen und auf freiwilliger Basis Topleistungen erzielen können.
Zum Arbeiten mit der rechten Hirnhälfte nutzen wir Methoden wie Bildermalen, Business-Theater, Sketche, Phantasiereisen. Diese Methoden sind schnell, klar und wirkungsvoll und müssen in der Realisierung dann mit bewährten Methoden des Arbeitens mit der linken Hirnhälfte ergänzt werden.
Damit Menschen mit Leidenschaft und Engagement arbeiten können, ist es wichtig, dass sie wissen was von ihnen erwartet wird, sie ausreichend Materialien und Arbeitsmittel haben, sie das tun können was sie am besten können, sie Anerkennung erhalten, sie als Menschen respektiert werden, sie ausreichend Unterstützung bekommen, sie wissen dass ihre Meinung zählt, sie sich mit den Unternehmenszielen identifizieren können, sie sehen können dass sich alle für Qualität engagieren, sie Fortschritte erkennen, lernen und sich weiter entwickeln können. Alle diese Punkte müssen regelmässig beobachtet, gemessen und besprochen werden, weil Leidenschaft und Engagement Treiber der individuellen Leistung sind und die kollektive Leistung der Einzelnen den Unternehmenserfolg treibt.
Damit die beiden ersten Werkzeuge wirksam sein können, braucht es Methoden, die zuverlässig Stärken von Menschen messen und diese mit den Anforderungen der Arbeitsplätze und mit den Stärken der Führungskräfte, Kollegen und der Mitarbeitenden abgleichen können. Job-Match, Boss-Match und Team-Match leisten hier grossartige Unterstützung.
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